Darjeelingreise 2025 20. April
Heute ist unser letzter Tag in Siliguri – und auch der letzte Ausflug dieser Reise führt uns noch einmal dorthin, wo alles grüner, ruhiger und luftiger ist: in die Berge. Unser Ziel: Yanky-Tee.
Den Grüntee von Yanky führen wir schon länger in unserem Sortiment – ein Tee, der für sich spricht. Fein, klar, frisch. Aber heute wollen wir mehr als nur das fertige Produkt. Wir wollen sehen, wie und wo er entsteht. Wer ihn macht. Welche Hände die Blätter pflücken, welch ein Boden sie nährt und welche Ideen dahinterstecken.
Wir frühstücken heute etwas später. Zum einen ist die Fahrt nicht weit – zum anderen wissen wir seit gestern, dass um 8 Uhr sowieso noch kein Frühstück auf dem Tisch steht. Wieder was gelernt.
Unser Hotel liegt direkt am Busbahnhof – und so werden wir beim Frühstück bestens unterhalten. Keine Musik, kein Fernseher – sondern das Live-Spektakel der Busbeladung. Ich finde es einfach nur verblüffend, mit welcher Leichtigkeit die Männer riesige Ballen auf dem Kopf balancieren – und dann auch noch eine Leiter damit hochsteigen. Ein Balanceakt zwischen Kraft, Koordination und völliger Selbstverständlichkeit.
Und ganz ehrlich: Es tut gut, der Hitze, dem Trubel und der Lautstärke der Stadt für ein paar Stunden zu entkommen. Die Luft wird kühler, das Tempo langsamer, der Kopf freier.
Also machen wir uns ein letztes Mal auf den Weg – bergauf, durch Kurven, vorbei an Teebüschen und kleinen Siedlungen. Noch einmal eintauchen in die Welt, die sich um eine Pflanze dreht.


Die Fahrt zu Yanky-Tee ist kurzweilig. Sie führt durch sanfte Hügel, vorbei an kleinen Dörfern und immer wieder an Teefeldern, die sich bis zum Horizont ziehen. Eine wunderschöne, ruhige Strecke – ganz ohne die Dramatik der steilen Hochlandstraßen der letzten Tage.
Was einem dabei auffällt: Wir sind hier im Tiefland unterwegs – und trotzdem wachsen hier überall Teepflanzen. Und nicht wenige dieser Blätter landen später wahrscheinlich unter dem edlen Namen „Darjeeling-Tee“ im Verkauf, obwohl sie es offiziell gar nicht sein dürften. Denn nur Tee aus dem Hochland um Darjeeling darf sich auch so nennen. Das Problem: Es wird weltweit deutlich mehr „Darjeeling“ verkauft, als tatsächlich produziert wird. Ein kleiner geographischer Etikettenschwindel mit großer Verbreitung.



An der kleinen Teefabrik von Yanky-Tee angekommen, werden wir herzlich empfangen – von Di. Sie bittet uns, sie einfach so zu nennen, denn ihren eigentlichen Namen könnten wir mit unseren europäischen Zungen vermutlich sowieso nicht richtig aussprechen. Ein sympathischer Einstieg.
Di gehört zum indigenen Volk der Limbu, einer ethnischen Gruppe mit tiefer Verwurzelung im östlichen Nepal sowie in Teilen von Sikkim und Westbengalen. In Indien leben laut Volkszählung rund 100.000 Limbu, vor allem im Distrikt Darjeeling. In Nepal zählen sie zu den offiziell anerkannten indigenen Völkern – dort leben etwa 400.000 Angehörige dieser Gemeinschaft.
Die Limbu sprechen ihre eigene Sprache, Limbu (Yakthungpan), die zu den kiranti-tibetobirmanischen Sprachen gehört, und haben eine reiche mündliche Überlieferung – darunter epische Lieder, Ahnenrituale und Naturglauben. Ihre traditionelle Religion, die Yumaism, verehrt die Natur und die Vorfahren, auch wenn heute viele Limbu den Buddhismus oder Hinduismus praktizieren – teils vermischt mit alten Riten.
Die Gesellschaft der Limbu ist geprägt von starken familiären Bindungen, Respekt gegenüber Älteren und einer tiefen Verbindung zur Erde. Viele leben vom Ackerbau, Teeanbau, Handwerk oder zunehmend auch im Bildungssektor. Frauen spielen in der Limbu-Kultur traditionell eine wichtige Rolle, sowohl im Haushalt als auch im wirtschaftlichen Leben – wie Di, die hier nicht nur Tee produziert, sondern auch die Geschichte ihrer Gemeinschaft repräsentiert.
Di spricht sehr gutes Englisch, ist offen, herzlich und führt uns mit einer angenehmen Ruhe durch die kleine Produktion.


Die Fabrik ist größer, als wir erwartet haben. Nicht hochglanzpoliert, nicht durchdesignt – aber lebendig. Es ist nicht überall ordentlich im klassischen Sinn, aber man merkt schnell: Jeder hier hat sein System. Eine eigene Logik, die funktioniert.
Wir werden zuerst durch die einzelnen Schritte der Schwarzteeproduktion geführt. Vieles ist uns inzwischen vertraut, und doch gibt es immer wieder kleine Unterschiede. Hier wird der Tee 16 Stunden gewelkt, in Jungpana waren es 18 Stunden. Der Trockner läuft hier bei 240 Grad Fahrenheit für 26 Minuten, bei anderen Produzenten waren es 250 Grad für 21 Minuten.
Kleine Zahlen, große Wirkung. Es zeigt, wie sensibel Tee auf Temperatur, Zeit und Handhabung reagiert – und wie sehr sich jede Fabrik ihre eigenen Parameter erarbeitet hat. Tee ist Tee – und doch ist jede Charge ein eigenes kleines Universum.
Aber eigentlich sind wir ja nicht für den Schwarztee hier. Uns interessiert vor allem der Grüntee, den wir bereits führen – und den wir jetzt endlich an seinem Ursprung erleben wollen.

Für die Produktion des Grüntees wird größtenteils das gleiche Equipment verwendet wie für den Schwarztee. Die Wege, die Maschinen, die Räume – vieles ist identisch. Der entscheidende Unterschied passiert ganz am Anfang.
Direkt nach der Ernte werden die frischen Blätter in großen Dämpfkörben behandelt – etwa zwei Minuten lang, um verschiedene Enzyme zu deaktivieren und die Oxidation zu stoppen. Das verhindert, dass die Blätter dunkel werden, und bewahrt das frische, grüne Aroma.
Optisch erinnert das Ganze tatsächlich an das Dämpfen von Dumplings in einem asiatischen Restaurant – große Metallkörbe, unter denen der Wasserdampf aufsteigt, während sich im Inneren langsam der Charakter des Tees formt.


Nach dem Dämpfen werden die Blätter für eine gewisse Zeit draußen auf die Straße gelegt – an genau der Stelle, wo normalerweise der Schwarztee zum Welken ausgebreitet wird. Hier verlieren sie schonend einen Teil ihrer Feuchtigkeit, bevor es an den nächsten Arbeitsschritt geht.

Dann wird’s handgemacht: Der Tee wird von Hand gerollt – mit viel Gefühl und Erfahrung. Ein arbeitsintensiver Prozess – aber einer, den man im späteren Geschmack ganz klar spürt Und schließlich wandert er in den Etagentrockner, wo er langsam und gleichmäßig seine Restfeuchtigkeit verliert und seine endgültige Form und Struktur annimmt.

Anschließend ist es Zeit für die Verkostung. Wir sitzen zusammen, trinken Tee und kommen ins Gespräch – über die Unterschiede zwischen Indien und Deutschland, über Arbeit, Alltag und natürlich über Tee.
Und obwohl die Unterschiede groß sind, findet man überraschend viele Gemeinsamkeiten – in der Haltung zur Arbeit, im Stolz auf Qualität, in der Freude am Teilen eines Moments über einer Tasse Tee.
Besonders spannend: Wir probieren einen handgerollten First Flush, von dem ich bisher nicht wusste, dass er überhaupt hier produziert wird. Eine echte Entdeckung. Der Tee ist fein, lebendig, floral – mit einer ganz eigenen Handschrift.
Ich nehme ein Sample mit nach München, um zu testen, wie er sich mit unserem Wasser entfaltet. Denn wie wir gelernt haben: Ein Tee ist nie nur das, was ins Päckchen kommt – er wird erst zu dem, was er ist, wenn Wasser, Zeit und Umgebung mitspielen.



Nach der Verkostung besuchen wir noch einen der Teegärten, aus dem die Blätter für Yanky-Tee stammen. Und sofort fühlen wir uns ein wenig an Ashwritas Garten erinnert: auch hier wächst der Tee nicht in Reih und Glied, nicht als Monokultur, sondern inmitten einer lebendigen, wilden Landschaft.
Zwischen den Teebüschen sprießen Farne, Bäume und andere Pflanzen, die hier ihren Platz behalten dürfen. Der Garten wirkt fast wie ein Stück Wald mit Tee dazwischen – nicht wie eine Plantage, sondern wie ein intaktes Ökosystem.
Sogar Hanf wächst hier – nicht für den Export, sondern als natürlicher Begleiter am Rand. „Für die Entspannung nach Feierabend“, wird uns augenzwinkernd erklärt.
Wir sehen Spinnen, Eidechsen und hören das Rascheln vieler anderer tierischer Bewohner, die sich uns lieber verborgen halten. Alles wirkt im Gleichgewicht, alles scheint sich hier gegenseitig zu respektieren – Mensch, Pflanze, Tier.
Ein Garten, der nicht nur Tee produziert, sondern auch ein Lebensraum ist – lebendig, vielfältig und beeindruckend ruhig.



Nach dem Besuch im Teegarten werden wir zum Essen eingeladen – eine warme, herzliche Geste, die genauso selbstverständlich wirkt wie alles andere hier. Serviert werden ausschließlich traditionelle Gerichte der Limbu-Küche, zubereitet mit Zutaten direkt aus dem Dorf, in dem wir gerade zu Gast sind.
Das Essen ist vorzüglich. Und: überraschend mild. Offenbar ist die Limbu-Küche deutlich weniger scharf als vieles, was wir bisher auf dieser Reise probieren durften – sehr zur Freude unserer mittlerweile gut trainierten, aber trotzdem vorsichtigen Geschmacksnerven.
Besonders verblüfft war ich, als ich plötzlich ein Gericht entdecke, das mir seltsam vertraut vorkommt: Kartoffelgratin – oder etwas sehr Ähnliches. Nur wird hier natürlich keine Sahne verwendet, sondern ein lokaler Käse, der dem Ganzen eine ganz eigene, herzhafte Note verleiht. Rustikal, ehrlich, richtig gut.
Das gemeinsame Essen rundet den Besuch perfekt ab. Tee, Garten, Gespräche, Kultur – und jetzt noch eine Mahlzeit, die nicht nur satt macht, sondern verbindet.



Weil wir früher als gedacht aus dem Teegarten zurück sind, bleibt uns noch ein wenig Freizeit im Hotel. Eine willkommene Pause nach den vielen Eindrücken des Tages. Wir nutzen die Zeit, um uns frisch zu machen, ein bisschen durchzuatmen und ganz nebenbei auch schon mal die ersten Sachen zusammenzupacken. Das fühlt sich merkwürdig final an – der Abschied rückt näher.
Am Abend treffen wir uns noch einmal – diesmal in einem Restaurant mit bengalischer Küche. Es soll der letzte kulinarische Höhepunkt werden, und wir lassen es nochmal richtig krachen. Chili? Ja, bitte. Gewürze? Gerne noch eine Prise mehr. Und zum ersten Mal auf dieser Reise steht Mutton auf dem Tisch – zart, kräftig, voll im Geschmack.
Ein würdiger Abschluss für diese Reise voller Aromen, Begegnungen und Geschichten. Und ein Abend, an dem es sich leicht anfühlt, einfach zu genießen.

Und plötzlich ist er da – der letzte Abend. Wie immer kommt er schneller, als man denkt. Die Tage, die sich manchmal zogen wie die Straßen in den Bergen, sind rückblickend verflogen wie eine Tasse dampfender Tee an einem kühlen Morgen.
Wir haben viel gesehen, noch mehr erlebt, einiges probiert – kulinarisch, kulturell, körperlich. Wir sind über Straßen gefahren, die kaum welche waren, haben Menschen getroffen, die uns willkommen geheißen haben, und Orte besucht, von denen wir noch lange erzählen werden.
Sikkim, Darjeeling, Siliguri – es sind nicht nur Namen auf der Karte geworden, sondern Kapitel in unserem Kopf und Herz. Voller Bilder, Gerüche, Geräusche.
Ein Teil von mir würde am liebsten einfach weiterreisen. Vielleicht nach Bhutan. Oder Nepal. Ohne festen Plan, ohne Blog, ohne Liste – einfach nur mit Tee im Gepäck und Zeit im Herzen. Sich treiben lassen, schauen, was kommt.
Aber zugleich freue ich mich ehrlich auf Zuhause. Auf meine Bauernkruste von der Brotmanufaktur Schmidt, dick bestrichen mit Leberwurst vom Fleischer meines Vertrauens. Auf das Gewohnte, das Verlässliche, das Ruhige.
Jetzt heißt es: Taschen packen, letzte Dinge verstauen, ein letztes Mal die Aussicht betrachten – selbst wenn sie nur aus dem Hotelfenster auf einen chaotischen Busbahnhof führt. Es ist der letzte Eindruck vor dem Rückflug. Und auch wenn wir müde sind, ein bisschen erschöpft vielleicht, schwingt da schon wieder dieses leise Fernweh mit.
Denn wer einmal Tee an seinem Ursprung getrunken hat, wer ihn gepflückt, gerochen, gesehen hat – der wird ihn nie wieder einfach nur aufgießen.
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