Darjeelingreise 2025 14. April

7:30 Uhr: Frühstück. Mein Magen hat sich offenbar an die Schärfe gewöhnt – entweder das, oder meine Geschmacksknospen sind heldenhaft abgestorben. Lecker ist es jedenfalls immer noch. Besonders das Sambar hat’s mir angetan: würzig, heiß und irgendwie tröstlich, als würde es sagen: „Ja, du bist in Indien – aber keine Sorge, ich pass auf dich auf.“ Wer hätte gedacht, dass ich mal freiwillig um diese Uhrzeit auf Chili beiße – und das auch noch genieße?

Die 27 Grad um 8:30 fühlen sich fast frisch an – wer hätte gedacht, dass ich das mal schreibe? Aber es sollen 33 werden, also: nichts wie ab in die Berge! Um neun Uhr sollen wir im Rimpocha-Haus sein. Mittlerweile sind wir mit den Verkehrsmitteln vertraut – Tuk-Tuk, Bus, Kuh – wir nehmen, was kommt! Für die Elektro-Rikschas zahlen wir übrigens immer weniger. Entweder verhandeln wir besser, oder wir sehen einfach schon wie Einheimische aus.

Am Rimpoche-Haus angekommen warten wir auf den Fahrer – indische Pünktlichkeit trifft auf unsere neue innere Gelassenheit. Zur Überbrückung gibt’s einen Espresso. Der Geschmack? Ein kleines Wunder. Ich wusste nicht, wie sehr ich ihn vermisst habe. Ein Hauch von Dolce Vita mitten in Indien – wer hätte gedacht, dass Koffein so sentimental machen kann?

9:15 – Abfahrt vom Rimpoche-Haus Richtung Ashwritas Teegarten und Produktionsstätte. Die Straßen schlängeln sich durchs Grün, und der Fahrtwind ist eine willkommene Erfrischung. Um 10:30 erreichen wir das Tor zum Gorkha-Gebiet – und dann: Stillstand. 30 Minuten Stau. Warum? Ein Politiker reist. Also steht das Volk. Wenigstens können wir schon Kurseong sehen – ein Zwischenziel in der Ferne. Tröstlich, wenn auch unerreichbar. Zeit für eine spontane Fotosession – immerhin bewegt sich etwas, wenn auch nur der Spiegel meiner Kamera. Ich bin etwas Oldschool unterwegs.

Wir schaffen es ins Gorkha-Gebiet – eine Region mit starkem Charakter und stolzer Identität. Die Gorkhas, eine Volksgruppe mit Wurzeln in Nepal, leben seit Generationen in den Hügeln von Darjeeling und Umgebung. Bekannt wurden sie durch ihre Rolle als unerschrockene Soldaten im Dienst der britischen und später indischen Armee. Doch auch abseits des Militärs sind sie ein Volk mit Haltung: Seit Jahrzehnten fordern viele Gorkhas mehr politische Autonomie – ihr Ziel ist ein eigener Bundesstaat namens „Gorkhaland“, unabhängig von Westbengalen, aber weiterhin Teil Indiens.

Dieser Ruf nach Selbstbestimmung ist hier allgegenwärtig – in den Gesprächen, an den Hauswänden, auf Transparenten. Besonders spürbar wird er in den Teegärten: Hier, wo weltberühmter Darjeeling-Tee wächst, kommt es immer wieder zu Streiks. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter – oft selbst Gorkhas – kämpfen für bessere Löhne und faire Arbeitsbedingungen. Die politische Bewegung und die sozialen Missstände gehen dabei oft Hand in Hand. Für Außenstehende ist es leicht, sich von der romantischen Teelandschaft einlullen zu lassen. Doch hinter den sanften Hügeln brodelt es – leise, aber ausdauernd.

Nach knapp fünf Stunden haben wir es schließlich geschafft: Ankunft bei Ashwrita. Für 75 Kilometer eine beachtliche Leistung. Zur Begrüßung gab’s Teigtaschen und einen wunderbar würzigen Tee – neugierig, was uns erwartet.

Bei Ashwrita angekommen, hatten wir Zeit für ein erstes Kennenlernen – eine charmante Mischung aus Denglisch und indischem Englisch, bei der das Verstehen manchmal zur Herausforderung wird. Nicht nur für uns, sondern auch für unser Gegenüber. Doch mit Geduld, Lächeln und ein paar Händen voller Gestik klappt es erstaunlich gut.

Ashwrita ist 38 Jahre alt und führt heute den Teegarten, den einst ihr Großvater gegründet hat. Tee ist ein roter Faden in ihrer Familie – fast jeder hat irgendwann in dem Garten gearbeitet, aber ebenso andere Wege eingeschlagen. Auch Ashwritas Lebensweg ist beeindruckend: Sie wurde in Darjeeling geboren und ist dort aufgewachsen. Später zog es sie nach Nepal, wo sie sich zur Lehrerin ausbilden ließ. In ihrem Heimatdorf gründete sie schließlich eine eigene Schule mit fünf Lehrkräften und rund 80 Kindern.

Besonders bemerkenswert: Die Schule war auch für Kinder aus armen Familien gedacht. In Indien sind Schuluniformen üblich – doch Ashwrita verzichtete bewusst darauf. Viele Familien konnten sich die Uniformen schlichtweg nicht leisten. So schuf sie einen offenen, zugänglichen Lernort, an dem nicht Geldbeutel, sondern Neugier und Lernfreude zählten.

Erst nach der Corona-Pandemie entschloss sie sich, das Erbe ihres Großvaters aufzugreifen und selbst Tee zu produzieren. Seither führt sie mit viel Herz und Idealismus den kleinen Teegarten – ein Ort, an dem Tradition, Bildung und neue Wege aufeinandertreffen.

Als erstes führt uns Ashwrita in die Teeproduktion. Die „Fabrik“ – man muss das Wort fast in Anführungszeichen setzen – ist etwa so groß wie mein Apartment in München. Und doch wird hier hochwertiger Tee hergestellt, mit erstaunlich wenig Mitteln, aber viel Engagement. Ashwrita produziert erst seit vier Jahren Tee. Die Verarbeitung hat sie sich durch Experimentieren und Ausprobieren selbst beigebracht – unterstützt von Freunden, die ihr mit Rat und Erfahrung zur Seite standen. Besonders ins Auge fällt ein alter, selbst gebauter Etagentrockner – ein echtes Unikat. Kein Hochglanz, keine Hightech, aber ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie aus Eigeninitiative und Leidenschaft Qualität entsteht.

Wir besichtigen den Teegarten – und ich muss sagen: genau so habe ich mir einen Teegarten immer vorgestellt. Im Gegensatz zu Jungpana, den wir am Vortag gesehen haben – super clean, fast klinisch – ist Ashwritas Garten wild, lebendig, ursprünglich. Zwischen den Teepflanzen wächst, was wachsen will: Gräser, kleine Sträucher, sogar Bäume, die wohltuenden Schatten spenden. Statt synthetischer Mittel kommt hier ausschließlich Mist zum Einsatz, und die Natur darf weitgehend ihren eigenen Rhythmus finden.

Der Mensch greift nur so wenig wie möglich ein – aber gerade so viel, wie nötig ist, damit der Tee die Oberhand behält. Ein feines Gleichgewicht zwischen Eingreifen und Vertrauen. Offizielle Bio-Zertifizierungen gibt es (noch) nicht – obwohl sie seit über vier Jahren beantragt ist. Doch wie so oft: Man muss die richtigen Leute kennen, oder besser gesagt bezahlen, um so ein Siegel zu bekommen. Ganz ehrlich? Zertifikat hin oder her – dieser Teegarten ist das, was man sich unter nachhaltigem, natürlichem Anbau wirklich wünscht. Kein perfektes Hochglanz-Bild, sondern ein kleines, grünes Ökosystem, in dem der Tee nicht nur wächst, sondern lebt.

Mittlerweile ist es schon halb fünf. Seit dem Frühstück – abgesehen vom Snack bei der Ankunft – nichts gegessen. Der Magen knurrt, die Vorfreude wächst. Und dann: ein selbstgekochtes nepalesisches Essen, dampfend und duftend auf dem Teller. Löffel lagen dezent bereit, aber wir beschlossen: Wenn schon, denn schon – wir versuchen es mit der Hand.

Sieht bei den Einheimischen mühelos und elegant aus, fühlt sich bei uns anfangs eher an wie Finger-Yoga mit Reiskörnern. Die Kunst besteht darin, die rechte Hand wie einen Löffel zu benutzen – rollen, schieben, balancieren. Die ersten Versuche sind… sagen wir: charmant unbeholfen. Aber spätestens beim zweiten Bissen überwiegt der Spaß – und der Geschmack sowieso.

Das Essen ist außergewöhnlich gut. Aromatisch, frisch, ehrlich. Und die Schärfe? Die ist mir mittlerweile völlig egal. Entweder bin ich abgehärtet – oder einfach zu glücklich, um mich darum zu kümmern.

Am Ende des Besuchs verabschieden wir uns herzlich. Wir sind dankbar für diesen Einblick, für die Offenheit, das Essen, das Lachen – und vor allem dafür, dort gewesen zu sein. Ein Erlebnis, das bleibt.

Ashwrita ist eine beeindruckende Frau – mutig, engagiert, bodenständig. Sie verbindet Tradition mit Eigeninitiative und zeigt, wie viel man bewegen kann, wenn man einfach anfängt.

Wir fahren weiter nach Darjeeling. Was ich bisher verschwiegen habe: Um überhaupt hierher zu kommen, muss man von Ghoom aus eine äußerst enge, steinige, schlecht ausgebaute und steile Straße hinunterfahren – und genau die müssen wir jetzt wieder hinauf.

Das funktioniert nur mit Allrad und einer ordentlichen Portion Schwung. Jeder Anlauf fühlt sich ein bisschen nach Abenteuerpark an – nur ohne Sicherheitsbügel. Aber unser Fahrer kennt jede Unebenheit, jede Kurve. Und so ruckeln wir uns Stück für Stück dem Horizont entgegen – weiter hinein ins Herz der Teestadt Darjeeling.

In Ghoom angekommen, geht das Spiel gleich weiter: Stop and Go, Stop and Go – bis Darjeeling. Verkehr, Menschen, hupende Jeeps und dazwischen immer wieder Aussicht auf die Hügel, als kleines Trostpflaster fürs Stocken.

Und als wäre das tägliche Chaos nicht schon genug, wird heute auch noch das nepalesische Neujahr gefeiert. Mehr Menschen, mehr Musik, mehr Trubel – ein noch dichteres Gewusel als sonst.

Gegen 19 Uhr erreichen wir endlich unser Hotel in Darjeeling: das Little Buddha. Der Name wirkt zunächst friedlich – bis wir auf dem Weg ins Zimmer vom Rauch im Flur überrascht werden. Offenbar nimmt man es hier mit dem Buddhismus etwas zu ernst… Weihrauch in Mengen, die sogar ein Kloster erröten lassen würden.

Nichtsdestotrotz lassen wir uns den Abend nicht verderben. Ein paar Snacks werden aufs Zimmer gebracht, dazu ein Budweiser Premium – man nimmt, was man kriegt. Als wir das Bier bestellen, werden wir mit ernster Miene gewarnt: “It has a lot of alcohol.” Gut, dass wir vorbereitet sind. Während draußen langsam Ruhe einkehrt, stoßen wir an und schreiben diesen Blog.

Ashwrita ist derzeit dabei, ein kleines Homestay inmitten ihres Teegartens aufzubauen. Wer also eines Tages mit genau diesem Ausblick aufwachen möchte – umgeben von sattgrünen Teebüschen, frischer Bergluft und der Ruhe des ländlichen Nordindiens – und dabei tief in eine andere Lebensweise eintauchen will, sollte sich das vormerken.

Wer bereit ist, seine Komfortzone für ein echtes Erlebnis zu verlassen, wird hier mit offenen Armen empfangen. Ab nächstem Jahr soll es bezugsfertig sein. Wer Interesse hat: einfach bei uns melden. Wir vermitteln gern – ganz ohne Gegenleistung. Denn wer einmal dort war, weiß, wie besonders dieser Ort ist.

Man muss allerdings hier vorbeifahren

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